Rückblick: "Social Justice and Technological Futures"

Am 2. und 3. Mai 2023 ver­an­stal­te­te das Cen­ter for Rhe­to­ri­cal Sci­ence Com­mu­ni­ca­ti­on Rese­arch on Arti­fi­ci­al Intel­li­gence (RHET AI Cen­ter) gemein­sam mit dem Inter­na­tio­na­len Zen­trum für Ethik in den Wis­sen­schaf­ten (IZEW) und dem Son­der­for­schungs­be­reich 923 "Bedroh­te Ord­nun­gen" der Uni­ver­si­tät Tübin­gen ein Sym­po­si­um zum The­ma Social Jus­ti­ce and Tech­no­lo­gi­cal Futures. Dazu wur­den For­schen­de und Praktiker:innen aus aller Welt nach Tübin­gen in die Alte Aula gela­den, um über glo­ba­le Zusam­men­hän­ge sozia­ler und kul­tu­rel­ler sowie poli­ti­scher und öko­no­mi­scher Unge­rech­tig­kei­ten durch neue Tech­no­lo­gien zu dis­ku­tie­ren. Zwei Tage lang nutz­ten die Teil­neh­men­den das Sym­po­si­um als Platt­form für den Aus­tausch mit gerech­tig­keits­theo­re­ti­schen und zukunfts­ori­en­tier­ten Per­spek­ti­ven. Das RHET AI Cen­ter betei­lig­te sich mit der Ein­la­dung von drei inter­na­tio­na­len Spea­k­ern aus Süd­afri­ka, Bra­si­li­en und Kolumbien/Spanien, einem insti­tu­tio­nel­len Gruß­wort, einem eige­nen the­ma­ti­schen Panel sowie der Vor­füh­rung eines the­ma­tisch pas­sen­den Kino­films im Rahmenprogramm.

Eröff­net wur­de das Sym­po­si­um durch die Lei­tun­gen der ver­an­stal­ten­den Orga­ni­sa­tio­nen: Prof. Dr. Regi­na Ammi­cht Quinn (IZEW), Prof. Dr. Olaf Kra­mer (RHET AI Cen­ter) und Prof. Dr. Astrid Fran­ke (SFB "Bedroh­te Ord­nun­gen"). Im Anschluss refe­rier­te Lei­ca J. Brooks vom Sou­thern Pover­ty Law Cen­ter im Gespräch mit Regi­na Ammi­cht Quinn zum Leit­the­ma des Sym­po­si­ums: Social Justice.

Im ers­ten the­ma­ti­schen Panel zum The­ma "Ethics, Eco­no­my, Equa­li­ty" brach­ten Koli­we Maja­ma (Mozil­la Foun­da­ti­on, Sim­bab­we), Sofia Scas­ser­ra (Uni­ver­si­tät Tres de Febre­ro, Argen­ti­ni­en) und Dr. Scott Tim­cke (ICT Rese­arch Afri­ca, Süd­afri­ka) kri­ti­sche Über­le­gun­gen zu glo­ba­len Ent­wick­lun­gen im Kon­text von künst­li­cher Intel­li­genz in das Sym­po­si­um ein. Dr. Scott Tim­cke, der auf Ein­la­dung des RHET AI Cen­ters nach Tübin­gen gekom­men war, mach­te in sei­nem Vor­trag auf die "lang­sa­me Gewalt" auf­merk­sam, der die Län­der des Glo­ba­len Südens durch zeit­ge­nös­si­sche Prak­ti­ken der KI-Indus­trie aus­ge­setzt sind. Dr. Lou Brand­ner vom IZEW mode­rier­te das auf ethi­sche Fra­gen fokus­sier­te Panel und lei­te­te die anschlie­ßen­de Diskussion.

Die Tübin­ger Medi­en­wis­sen­schaft­le­rin Dr. Anne Burk­hardt, Post­doc am RHET AI Cen­ter und Exper­tin für deko­lo­nia­le Theo­rien und Künst­li­che Intel­li­genz mit beson­de­rem For­schungs­in­ter­es­se an audio­vi­su­el­len KI-Dis­kur­sen im Glo­ba­len Süden, mode­rier­te am Nach­mit­tag das RHET AI-Panel "AI, Ima­gi­na­ti­on, and Crea­ti­vi­ty". Den Auf­takt dazu mach­te der kolum­bia­ni­sche Regis­seur und Film­pro­du­zent Jor­ge Cabal­le­ro Ramos, der an der Uni­ver­si­tät Pom­peu Fabra in Bar­ce­lo­na zu KI und Film forscht und die kolum­bia­nisch-spa­ni­sche Pro­duk­ti­ons­fir­ma Gus­a­no Films lei­tet. Anhand aus­ge­wähl­ter Film­bei­spie­le leg­te er dar, wie künst­li­che Intel­li­genz die krea­ti­ve Arbeit mit (beweg­ten) Bil­dern revo­lu­tio­niert und die Gren­zen von Krea­ti­vi­tät neu defi­niert. Die Ein­bli­cke hin­ter die Kulis­sen sei­ner Fil­me ver­deut­lich­ten, wie Künst­li­che Intel­li­genz etwa bei der Ver­bes­se­rung von Dreh­buch und Dia­lo­gen, der Ana­ly­se von Bild­ma­te­ri­al, der Erstel­lung von Ani­ma­tio­nen oder im Film­schnitt ein­ge­setzt wer­den kann und wel­che Chan­cen sich dar­aus gera­de für Pro­duk­tio­nen aus dem Glo­ba­len Süden erge­ben – etwa in Hin­blick auf finan­zi­el­le Ressourcen.

Als zwei­te Red­ne­rin des Panels sprach Joa­na Varon aus Bra­si­li­en, Geschäfts­füh­re­rin und "Crea­ti­ve Cha­os Cata­lyst" bei der femi­nis­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on Coding Rights, Fel­low of Tech­no­lo­gy and Human Rights am Carr Cen­ter for Human Rights Poli­cy der Har­vard Ken­ne­dy School und Mit­glied des Berk­man Klein Cen­ter for Inter­net and Socie­ty der Har­vard Uni­ver­si­ty. In ihrer akti­vis­ti­schen Arbeit set­zen sich Varon und ihre Mit­strei­te­rin­nen nicht nur gegen struk­tu­rel­le Ungleich­heit (etwa in Hin­blick auf gen­der oder Nord-Süd-Gefäl­le) ein, son­dern ent­wi­ckeln auch alter­na­ti­ve – gerech­te­re, diver­se­re und ganz­heit­li­che­re – Visio­nen von neu­en Tech­no­lo­gien. Dabei spielt die Rück­be­sin­nung auf die Natur und indi­ge­ne Kul­tu­ren sowie die Deko­lo­nia­li­sie­rung von Technik(-imaginationen) eine zen­tra­le Rol­le. Die­se fin­den Aus­druck in Visua­li­sie­run­gen und viel­fäl­ti­gen digi­ta­len For­ma­ten, die Varon und ihr Team ent­wer­fen und im Netz zirkulieren.

Zum Aus­klang des ers­ten Tags des Sym­po­si­ums wur­de die Gus­a­no Films-Pro­duk­ti­on Robin Bank (Regie: Anna Giralt Gris; Pro­duk­ti­on: Jor­ge Cabal­le­ro Ramos) im Kino Arse­nal gezeigt. Robin Bank ist eine Doku­men­ta­ti­on über den kata­la­ni­schen "Hack­ti­vis­ten" Enric Duran, dem es gelang, die Groß­ban­ken und ihr auf Bör­sen­spe­ku­la­ti­on beru­hen­des Kre­dit­sys­tem um eine hal­be Mil­li­on Euro zu berau­ben, wel­che er akti­vis­ti­schen Zwe­cken zukom­men ließ. In der anschlie­ßen­den Publi­kums­dis­kus­si­on mit dem Pro­du­zen­ten des Films, mode­riert von Dr. Anne Burk­hardt, stand die Fra­ge im Zen­trum, ob Durans ille­ga­les Han­deln ethisch legi­tim erschei­nen kann und inwie­fern der glo­ba­li­sier­te und zuneh­mend tech­ni­sier­te Hyper­ka­pi­ta­lis­mus mit sei­nen eige­nen Waf­fen geschla­gen wer­den kann – und sollte.