Rückblick: Teil 2 der Lesereihe "Ein anderer Blick auf KI" mit Tom Hillenbrand, Olaf Kramer und Tsvetelina Alexiadis

Am Mitt­woch, dem 21. Juni 2023, wur­de im Brau­werk Frei­stil in Tübin­gen vor­ge­le­sen, dis­ku­tiert und debat­tiert. Wor­um es ging? Tom Hil­len­brand, Autor des Thril­lers Holo­gram­ma­ti­ca und wei­te­rer fik­ti­ver Sci­ence-Fic­tion Dys­to­pien, teil­te mit dem inter­es­sier­ten Publi­kum Aus­zü­ge sei­nes span­nen­den Auf­takt­ro­mans der Holo­gram­ma­ti­ca-Rei­he. Jede Sze­ne ende­te mit einem Schmun­zeln sei­tens des Publi­kums, einer nach­denk­li­chen Stil­le oder natür­lich einem Cliff­han­ger. Der Bücher­tisch wur­de nach der Ver­an­stal­tung ordent­lich leer­ge­kauft. Neben Holo­gram­ma­ti­ca scheint es beson­ders das Werk Bit­te­re Scho­ko­la­de eini­gen ange­tan zu haben. Und eine Signa­tur durf­te selbst­ver­ständ­lich auch nicht fehlen.

Tisch mit Büchern des Autors
© Antonia Lehn

Worum geht es in Hologrammatica? 

Ein Lon­do­ner Pri­vat­de­tek­tiv muss im Jahr 2088 eine Com­pu­ter­pro­gram­mie­re­rin auf­spü­ren. Das ist gar nicht so leicht, denn in Hil­len­brands fik­ti­ver Zukunfts­vi­si­on liegt über der Welt ein Netz aus Holo­gram­men. Zusam­men bil­den die­se Holo­gram­me die Holo­gram­ma­ti­ca. In die­ser Zukunft ist es den Men­schen mög­lich, den Inhalt ihres Geis­tes ein­zu­scan­nen und für bis zu 21 Tage den Kör­per zu wech­seln – sofern sie vor Ablauf der Frist in ihren ursprüng­li­chen Kör­per zurück­keh­ren. Wie aber fin­det man eine Ver­miss­te in einer Welt aus Holo­gram­men? Wie spürt man eine Per­son auf, die ihr Äuße­re­res so leicht wech­seln kann wie ein paar Schu­he? Ob der Detek­tiv erfolg­reich ist oder nicht, erfährt nur, wer den Roman selbst liest…

Die Lesung wur­de inter­ak­tiv beglei­tet von Mode­ra­tor Dr. Mar­kus Gott­sch­ling (RHET AI), Prof. Dr. Olaf Kra­mer (Lei­tung RHET AI), Tsve­te­li­na Ale­xia­dis (Max-Planck-Insti­tut) und natür­lich dem Autor selbst, Tom Hil­len­brand. Das Haupt­the­ma des Abends war: Täu­schung. Täuscht uns die KI, täu­schen wir Men­schen uns selbst oder gar bei­des? In einer ange­reg­ten Dis­kus­si­on spra­chen Gott­sch­ling, Kra­mer, Ale­xia­dis und Hil­len­brand über vir­tu­el­le Wel­ten, ChatGPT, Selbst­op­ti­mie­rung, Immersi­on, Deepf­akes, ethi­sche Gren­zen und – ganz im Sin­ne von Holo­gram­ma­ti­ca – die Zukunft. Hil­len­brand sorg­te für Hei­ter­keit im Publi­kum, als er scherz­haft bemerk­te: "Im Roman sind alle nach Sibi­ri­en gezo­gen. Da ist es näm­lich schön kühl!"

Hil­len­brands Lesung warf eine Rei­he dis­kus­si­ons­wür­di­ger Fra­gen auf. Schein und Sein von KI und die Kon­se­quen­zen des tech­ni­schen Fort­schritts bil­den den Fix­punkt sei­nes neus­ten Wer­kes. Sol­len wir mit der rapi­de vor­an­schrei­ten­den Ent­wick­lung von KI und vir­tu­el­ler Rea­li­tät die­se Welt des schö­nen Scheins ein­fach akzep­tie­ren? Hil­len­brand argu­men­tier­te, dass Men­schen stän­dig dabei sei­en, sich selbst zu opti­mie­ren und daher bereit wären, alles zu akzep­tie­ren, was die­se Selbst­op­ti­mie­rung erleich­tert. Ale­xia­dis sprach das wich­ti­ge The­ma der Kogni­ti­on an. Dabei beleuch­te­te sie einer­seits die Bemü­hun­gen, Com­pu­tern bei­zu­brin­gen, Men­schen wahr­zu­neh­men und eine men­schen­ähn­li­che Wahr­neh­mung zu über­neh­men. Ande­rer­seits erläu­ter­te sie, die Pro­zes­se der Selbst­wahr­neh­mung von Proband:innen, die mit den ler­nen­den Algo­rith­men inter­agie­ren. In den Expe­ri­men­ten wur­de unter­sucht, wie sich die Proband:innen im vir­tu­el­len Raum und in einem vir­tu­el­len Kör­per selbst erleb­ten und ob eine Iden­ti­fi­ka­ti­on mit eben die­sem ande­ren Kör­per statt­fand – sprich, ob ein Kör­per­wech­sel eine rea­le Opti­on für einen Men­schen wäre. Inter­es­sant war, dass die live statt­fin­den­de Men­ti­me­ter-Umfra­ge zum Kör­per­wech­sel ans Publi­kum zeig­te, dass ein Groß­teil der Anwe­sen­den eben nicht bereit für einen sol­chen Wech­sel wäre.

Meinungsbild über den Körperwechsel. Frage: Die äußere Hülle und den Körper wechseln... Wie bewertest du das?" Antworten: 5x Das ist Täuschung anderer. 10x Das ist absolute Freiheit. 15x Würde ich auch gerne machen. 28x Oh nein. Kein Körperwechsel für mich.  
Gra­fik: Mei­nungs­bild über den Kör­per­wech­sel. Der Groß­teil des Publi­kums wür­de den eige­nen Kör­per nicht wech­seln wol­len. 

"Wann füh­len wir uns in einer vir­tu­el­len Welt wohl?", lau­te­te eine wei­te­re Fra­ge, die wäh­rend der Dis­kus­si­on auf­kam. Ale­xia­dis stell­te fest, dass wir uns am wohls­ten füh­len, wenn wir wir selbst sein kön­nen – am bes­ten mit Bei­nen! Eine Aus­sa­ge, die dem Publi­kum eini­ge herz­haf­te Lacher entlockte. 

Die ethi­schen Gren­zen des Ein­sat­zes von KI bie­ten Stoff für eine ganz eige­ne Debat­te und wur­den auch kurz an die­sem Abend dis­ku­tiert. Hil­len­brand äußer­te, dass er im Sin­ne sei­nes Romans und einer mög­li­chen ähn­li­chen Zukunft höchs­tens das Erschie­ßen der Gefä­ße (im Buch ein Slang-Ter­mi­nus für "Klo­ne") pro­ble­ma­tisch fän­de. Wenn das Gefäß stirbt, bleibt der ech­te, 'ori­gi­na­le' Mensch näm­lich am Leben. Gin­ge eine Per­son mit der Absicht los, jeman­den ermor­den zu wol­len und erwisch­te statt des Ori­gi­nals ledig­lich den Klon, wäre die Tat dann ein Mord oder kein Mord? Aller­dings sieht Hil­len­brand mehr Chan­cen als grund­sätz­li­che ethi­sche Pro­ble­me. Er nann­te bei­spiels­wei­se die Mög­lich­kei­ten für Trans­gen­der-Per­so­nen. Auch gegen­über Deepf­akes zeig­te er sich posi­tiv ein­ge­stellt. Er beton­te jedoch, dass der gesell­schaft­li­che Umgang mit ihnen ein­ge­übt wer­den müs­se und dass Men­schen äußerst adap­ti­ons­fä­hig seien.

Schließ­lich stell­te sich noch die häu­figs­te Fra­ge, wenn es um Künst­li­che Intel­li­genz geht: Wird KI die Mensch­heit über­neh­men, ver­skla­ven oder gar auslöschen?

Hil­len­brands schel­mi­sche Ant­wort brach­te das Publi­kum für den Abend ein letz­tes Mal zum Lachen: "War­um soll­te eine Maschi­ne mit Intel­li­genz uns weg­räu­men wol­len? Wir sind da nicht wich­tig genug dafür, wir müs­sen defi­ni­tiv von unse­rem hohen Ross her­un­ter­kom­men!" Die ver­meint­li­che Bedro­hung durch KI schien damit end­gül­tig aus dem Raum ver­bannt zu sein.

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