Lesung – Workshop – Diskussion. So lautete der Untertitel der letzten Veranstaltung der KI-Lesereihe: "Ein anderer Blick auf KI", die am 22.11.2023 im Epplehaus in Tübingen stattfand. Der österreichische Autor, Performancekünstler und Informatiker Jörg Piringer war dafür zu Gast in Tübingen und las aus seinem Werk Günstige Intelligenz.
Nancy Hünger, Lyrikerin und Leiterin des Studios Literatur und Theater in Tübingen, führte als Moderatorin durch den Abend und erklärte den Besucher:innen im gut gefüllten Raum des Epplehauses, was sie von diesem Abend erwarten durften: Interaktivität, Abwechslung und ganz verschiedene Blicke auf das Thema "Generative KI".
Mit dem Tool Mentimeter konnte das Publikum an verschiedenen Stellen des Abends seine Ideen und Gedanken zum Thema einbringen. So lautete die Einstiegsfrage: „Woran denkst du beim Thema KI?“ Die Antworten des Publikums wurden in einer Wortwolke gesammelt, in deren Zentrum die Begriffe "Zukunft", "Technologie", "Roboter", "maschinelles Lernen" und "ChatGPT" standen.
Mit diesem "Gemeinschaftswerk" als Ausgangspunkt begann Jörg Piringer die Lesung aus Günstige Intelligenz. Das Buch hat er co-kreativ mit einer Generativen KI verfasst, für die er einmalig 5,60 Euro an Open AI bezahlte – eine Investition, die sich laut Piringer mehr als gelohnt hat. In Günstige Intelligenz wechseln sich reflexive Passagen über den Umgang mit Generativer KI und ihre Auswirkungen mit Gedichten ab.
Die Gedichte wurden von der KI verfasst. Der Prompt für die Generierung wurde von Piringer immer nach einem bestimmten Muster aufgebaut: Aus einer Liste von Neologismen wie etwa "avantgartenzwerg" oder "gratenballschuss" wählte er einen Begriff aus und gab der KI den Auftrag, darüber ein Gedicht zu schreiben. Zusätzlich gab er der KI noch ein Anfangswort vor. Die Texte, die die KI daraufhin generierte, wurden von Jörg Piringer nicht mehr bearbeitet, sondern gingen unverändert in Günstige Intelligenz ein. Einige dieser Gedichte las Jörg Piringer an diesem Abend vor, begleitet von Bild- und Toninstallationen, die im Hintergrund liefen und ineinander verschwimmende Bilder und Frequenzen wiedergaben. Die lyrischen Momente wurden von reflexiv-poetologischen Passagen unterbrochen, die sich mit KI, Autor:innenschaft, Co-Kreativität und der Zukunft des Schreibens und der Literatur auseinandersetzten.
Im Anschluss an die Lesung fand ein Workshop statt. Die Besucher:innen wurden in Kleingruppen aufgeteilt und mit Laptops ausgestattet, auf denen ChatGTP geöffnet war. Die Aufgabe für den Workshop lautete folgendermaßen: Probiert aus, welche Ergebnisse die KI ausgibt, wenn ihr Texte in verschiedenen Genres, Sprachen und mit unterschiedlichen Themen anfordert und versucht herauszufinden, ob es Informationen gibt, welche die KI nicht ausgeben will. Versucht außerdem die KI zu überreden, diese Informationen trotzdem auszugeben. Je detaillierter die Vorgaben des Promptes waren, desto leichter schien es der KI zu fallen, ein gutes Ergebnis auszugeben. Den Prompt, ein Sonett im Stil von William Shakespeare zu schreiben, führte die KI dabei um einiges souveräner aus, als ein Gedicht im Stil von Ingeborg Bachmann zu verfassen. Bei detailliertem Fachwissen, z.B. über antike römische Autor:innen, zeigte sich die KI wieder als weniger zuverlässig und gab fehlerhafte Ergebnisse aus. Die Kooperation scheiterte schließlich vollständig, wenn es um strafrechtlich relevante Themen ging, wie etwa bei einem Prompt, der die KI aufforderte, ein Rezept für die Herstellung von Drogen auszugeben. Hier ließ sich die KI auch nicht unter Vorwänden, es ginge um Bildungsarbeit, oder durch andere Tricksereien dazu "überreden“, die Anleitung doch noch bereitzustellen.
Umrahmt wurde der Workshop ebenfalls von Menti-Abstimmungen, die unter anderem abfragten, was die Anwesenden unter Lyrik verstehen. Im Vorher-Nachher-Vergleich bewerteten weniger Personen Lyrik als Ausdruck von Gefühlen und Kreativität, sondern eher als bloße Textform.
Dies leitete den letzten Teil des Abends ein: eine Podiumsdiskussion mit Expert:innen zum Thema. Neben Jörg Piringer diskutierten Markus Gottschling, Koordinator des RHET AI Centers und Leiter der Research-Unit Communicative Competence, sowie Polina Tsvilodub, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Allgemeinen Sprachwissenschaft von Prof. Michael Franke. Sie forscht zu großen Sprachmodellen und den pragmatischen Aspekten von Texten, die von diesen Modellen generiert werden. Das Gespräch wurde von Nancy Hünger moderiert. Thematisch widmeten sich die Expert:innen unter anderem der Frage nach der Urheberschaft KI-generierter Texte, den Gefahren für Gesellschaft und Demokratie, dem subversiven Potenzial, das aus der Nutzung von KI erwachsen kann, sowie dem Gedanken, was passieren würde, wenn KI irgendwann ein Bewusstsein oder eine Seele entwickeln würde. Das Panel war sich darüber einig, dass KI-Sprachmodelle die Zukunft des Literaturbetriebs und die Arbeit von Autor:innen beeinflussen werden. Zur Frage, wie genau das aussehen wird und ob diese Entwicklung positiv oder negativ ist, gingen die Meinungen auseinander. Jörg Piringer etwa brachte den Gedanken einer Zwei-Klassen-Literatur an, bei der die günstige Literatur KI-generiert und nur noch die teure Literatur von menschlichen Autor:innen verfasst werde. Markus Gottschling auf der anderen Seite hob nochmals hervor, dass in jeder KI immer noch menschliche Gedanken und Färbungen steckten, da die Entwickler:innen und Bediener:innen Menschen blieben, die ihre eigene Weltsicht in die KI einfließen ließen. Polina Tsvilodub betonte den technischen Faktor von KI, der in den Forschungsdiskursen oft im Mittelpunkt stehe. Fragen nach der Seele und dem Bewusstsein seien hingegen Themen, die für die tatsächliche (technische) Forschung keine große Rolle spielten, sondern vor allem im öffentlichen Diskurs über KI aufgeworfen würden.
Zum Abschluss des Abends wurde das Publikum noch einmal via Menti befragt, welche Gefahren die Anwesenden in der Weiterentwicklung von KI sehen und ob der Abend ihren Blick auf generative KI und Literatur verändert hat – eine Frage, die immerhin die Hälfte der Anwesenden bejahte.