Forschungsaufenthalt und Kolloquium von Dr. Maria del Mar García Jiménez

Anfang Juli star­te­te Dr. Maria del Mar Gar­cía Jimé­nez von der Uni­ver­si­tät Sevil­la ihren etwa zwei­mo­na­ti­gen For­schungs­auf­ent­halt an der Uni­ver­si­tät Tübin­gen als Gast­wis­sen­schaft­le­rin am Insti­tut für Medi­en­wis­sen­schaft. Sie wird nicht nur Teil der Tübin­ger Arbeits­grup­pe sein, son­dern auch Ein­blick in ihre eige­ne For­schung geben. Zum Auf­takt ihres Auf­ent­halts in Tübin­gen hielt sie am Mitt­woch, den 10.07.2024 einen Vor­trag zu KI in Kunst, Film und Foto­gra­fie. Den Arti­kel zur Ein­la­dung zum Kol­lo­qui­um fin­det ihr hier

In ihrem Vor­trag beton­te sie die Her­aus­for­de­rung der Trans­for­ma­ti­on von Kunst­krea­tio­nen und der Leh­re im Feld KI in Kunst, in dem durch die rasche Ent­wick­lung von gene­ra­ti­ver KI Kon­zep­te von Krea­ti­vi­tät und die Rol­le der Künstler:innen neu gedacht wer­den muss. Sie sieht zudem einen fun­da­men­ta­len Unter­schied zwi­schen Kunst und Design: Wäh­rend Kunst oft durch Emo­tio­nen, Ideen und indi­vi­du­el­le Schöp­fungs­fä­hig­kei­ten fas­zi­niert, hat Design eine funk­tio­na­le Kom­po­nen­te. Die Wer­ke von Künstler:innen sind per­sön­li­che Aus­drucks­for­men, die oft eine tie­fe­re emo­tio­na­le oder phi­lo­so­phi­sche Bedeu­tung haben. Im Gegen­satz dazu ist Design ziel­ge­rich­tet und dar­auf aus­ge­legt, Lösun­gen zu bie­ten oder spe­zi­fi­sche Anfor­de­run­gen zu erfül­len.  Aller­dings benut­zen bei­de ähn­li­che Werk­zeu­ge um Bil­der zu kre­ieren und tei­len ähn­li­che ästhe­ti­sche Bedenken.

Maria del Mar erläu­ter­te, dass die Ein­füh­rung von KI in das visu­el­le Erzäh­len die Kunst­welt in eine Pha­se der Meta­mor­pho­se geführt hat, ähn­lich wie Wal­ter Ben­ja­min es in sei­nen Schrif­ten beschrie­ben hat. So ermög­licht KI es Künstler:innen auf der einen Sei­te, wett­be­werbs­fä­hig zu blei­ben und neue krea­ti­ve Mög­lich­kei­ten zu erfor­schen. Auf der ande­ren Sei­te bringt die­se tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung auch Ängs­te vor Ver­än­de­run­gen und Sor­gen, von KI ersetzt zu wer­den, mit sich.

KI habe das Poten­ti­al, die Kunst­welt radi­kal zu ver­än­dern, so Maria del Mar. Die tra­di­tio­nel­le Spra­che der Male­rei rei­che nicht aus, um die neu­en Aus­drucks­for­men und Mög­lich­kei­ten zu beschrei­ben, die durch KI gene­riert wer­den. Seit der frü­hen digi­ta­len Revo­lu­ti­on (1950–1979) gäbe es bereits kri­ti­sche Stim­men gegen­über neu­en Schöp­fun­gen, doch heu­te sei die Inte­gra­ti­on von KI in Kunst unauf­halt­sam. Über die ver­gan­ge­nen Jah­re erho­ben sich vie­le besorg­te Stim­men über das dis­rup­ti­ve Poten­ti­al von KI. KI wird als Bedro­hung ange­se­hen und der Grund für das Ende einer Ära. Die­se Angst vor Ver­än­de­rung ist nicht neu – Geschich­te zeigt ähn­li­che Reak­tio­nen zu tech­no­lo­gi­schen Fort­schrit­ten. Zum Bei­spiel wur­de Foto­gra­fie ursprüng­lich als Bedro­hung zur Male­rei gese­hen, bevor es schluss­end­lich die Ent­wick­lung der Male­rei beein­fluss­te und zu Avant­gar­de Bewe­gun­gen führ­te. Maria del Mar schließt dem­nach dar­aus, dass Künstler:innen immer neue Tech­no­lo­gien akzep­tiert, da sie das Poten­ti­al zur Trans­for­ma­ti­on von künst­le­ri­schen Spra­chen erkannt haben. Mit etwas Zeit wird KI sicher­lich eben­falls im künst­le­ri­schen Dis­kurs akzep­tiert werden.

Maria del Mar führt hier­für den durch die spa­ni­schen Medi­en gepräg­ten Begriff „GANism“ ein, den die Medi­en als Ver­bin­dung von gene­ra­ti­ven adver­sa­ria­len Netz­wer­ken (GAN) mit ästhe­ti­schen Bewe­gun­gen por­trai­tie­ren. Sie ver­weist dar­auf hin, dass die­se Idee eine gründ­li­che­re Ana­ly­se ver­dient. Kurz­um schlägt die­se Theo­rie Kon­ti­nui­tät statt Stö­rung vor, da sie erkennt, dass KI-gene­rier­te Bil­der Teil der kon­ti­nu­ier­li­chen Evo­lu­ti­on von Kunst sind. Das beinhal­tet, dass das Avant­gar­de, das von die­ser tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lung her­rührt, in Zukunft eben­falls in den his­to­ri­schen Rah­men der Kunst ein­ge­bet­tet und zu des­sen sich stets wan­deln­den Evo­lu­ti­on bei­tra­gen wird.

Als Bei­spiel erwähnt sie die Wer­ke der Neu­ral Glitch Rei­he von Mario Klin­ge­mann. Neu­ral Glitch ist eine von Klin­ge­mann erforsch­te Tech­nik, mit wel­cher er GANs mani­pu­liert. Durch die­se Mani­pu­la­ti­on miss­in­ter­pre­tie­ren die Model­le die Daten und kön­nen als Ein­bli­cke in auto­no­me Krea­ti­vi­tät inter­pre­tiert wer­den. Durch die Ver­zer­rung wird zudem ein Gefühl des Unheim­li­chen erzeugt. 

©"Qua­si­mon­do" Mario Klin­ge­mann. Neu­ral Glitch / Mista­ken Iden­ti­ty. Okto­ber 28, 2018.* Quel­le: Neu­ral Glitch / Mista­ken Identity

Ein Mei­len­stein in der KI-Kunst war außer­dem das Por­trait of Edmond de Bela­my, das als ers­tes KI-gene­rier­tes Kunst­werk im Jahr 2018 für $432.500 ver­stei­gert wur­de. Der Ver­kauf die­ses Por­traits trat die Dis­kus­si­on um das Urhe­ber­recht los, was Maria del Mar in ihrem Vor­trag auf­greift. Sie fragt, ob wir eigent­lich das Medi­um (die KI) mit dem/der Künstler:in ver­wech­seln, da zwei Schöpfer:innen invol­viert sei­en: Code-Entwickler:innen und Prompt-Verfasser:innen. In die­sem Zuge bezieht sie Wal­ter Ben­ja­mins Kon­zept der Aura auf KI-Kunst. Ben­ja­min erklärt in sei­nem 1935 erschie­ne­nen Auf­satz Das Kunst­werk im Zeit­al­ter sei­ner tech­ni­schen Repro­du­zier­bar­keit, dass die Aura eines Kunst­werks durch die Kenn­zei­chen Unnah­bar­keit, Echt­heit und Ein­ma­lig­keit geprägt sei. Durch die tech­ni­sche Repro­du­zier­bar­keit ver­fal­le die Aura. Die Authen­ti­zi­tät die­ser neu­en KI-Wer­ke, so Maria del Mar, kön­ne aus der Bezie­hung der Künstler:innen zur KI und der Ver­schmel­zung von Tech­no­lo­gie und Krea­ti­vi­tät als Schlüs­sel zum ein­zig­ar­ti­gen Cha­rak­ter eines Wer­kes resultieren.

Ein wei­te­rer wich­ti­ger Punkt sei­en die Her­aus­for­de­run­gen in der KI-Kunst­bil­dung. Maria del Mar führ­te eine Stu­die zur Inte­gra­ti­on von KI-gene­rier­ten Bil­dern durch, indem sie KI in den Lehr­plan der Fine Arts ein­führ­te. Dabei stell­te sie fest, dass nur 8 von 30 Stu­die­ren­de KI nutz­ten. Die Wahr­neh­mun­gen der Nütz­lich­keit von KI waren außer­dem sehr unter­schied­lich. Die Stu­die­ren­den hat­ten unter­schied­li­che Ansich­ten bezüg­lich der Benut­zung von KI in Kunst und bevor­zug­ten tra­di­tio­nel­le Werk­zeu­ge. Die digi­ta­le Kluft, päd­ago­gi­sche Her­aus­for­de­run­gen und die Navi­ga­ti­on durch neue Tech­no­lo­gien sind laut Maria del Mar zen­tra­le Aspek­te der KI-Kunstbildung.

Ein abschlie­ßen­der wich­ti­ger Punkt in Maria del Mars Vor­trag ist ein Zitat von Was­si­ly Kan­din­sky, 1911: 

„The artist is not only jus­ti­fied in using any form neces­sa­ry for his pur­po­ses, but it is his very duty to do so“ 

Die­se Aus­sa­ge gel­te laut ihr auch noch in der heu­ti­gen Zeit, da Künstler:innen dazu auf­ge­for­dert wer­den, alle ver­füg­ba­ren Mit­tel zu nut­zen, um ihre krea­ti­ven Visio­nen zu ver­wirk­li­chen – also auch KI. Die Inte­gra­ti­on von KI in die Kunst sei ein natür­li­cher Fort­schritt, der sowohl Her­aus­for­de­run­gen als auch neue Mög­lich­kei­ten mit sich bringt.

Über Dr. Maria del Mar Gar­cía Jímenez

Maria del Mar ist Künst­le­rin und Dozen­tin für Bil­den­de Kunst an der Uni­ver­si­tät Sevil­la, Spa­ni­en und Mit­glied der For­schungs­grup­pe HUM337: Plas­ti­sche, Sequen­zi­el­le, Expe­ri­men­tel­le Druck­kunst und Neue Tech­no­lo­gien, Theo­rie und Pra­xis. Ihre Exper­ti­se liegt im Künst­le­ri­schen Schaf­fen und der For­schung in der Kunst. Zu ihren For­schungs­in­ter­es­sen gehö­ren die Erfor­schung der Berei­che Foto­gra­fie und den Ver­bin­dun­gen sowie Hybri­di­sie­run­gen von zeit­ge­nös­si­scher Kunst, Medi­en, digi­ta­ler Tech­no­lo­gie und neu­en Tech­no­lo­gien, ein­schließ­lich ihrer sozio­po­li­ti­schen und kul­tu­rel­len Aus­wir­kun­gen. 

*Die ver­wen­de­ten Bil­der die­nen der Ver­an­schau­li­chung der im Arti­kel erläu­ter­ten Tech­ni­ken zu KI in Kunst. Nicht-kom­mer­zi­el­le Ver­wen­dung zu jour­na­lis­ti­schen Zwe­cken. Es gel­ten §51 (UrhG) Zitat­recht und Art. 5 (GG) Pres­se­frei­heit in Deutschland.