Wie Beteiligung Wissen formt und Kompetenzen verbindet – Eine Interviewreihe mit Mitwirkenden des Bürger:innenrats "KI und Freiheit". Heute mit: Patrick Klügel

Es ist unge­fähr ein Jahr her, dass der Bürger:innenrat "KI und Frei­heit" sich traf und dar­über aus­tausch­te, wie gesell­schaft­li­che Beglei­tung von KI-For­schung und deren För­de­rung aus­se­hen kann. Auch die Fra­ge, wie KI unse­re indi­vi­du­el­le und gesell­schaft­li­che Frei­heit beein­flusst, wur­de dis­ku­tiert.

Für das RHET AI Cen­ter, ins­be­son­de­re für die ver­ant­wort­li­che Unit 4 (Public Enga­ge­ment, Idee und Orga­ni­sa­ti­on des Bürger:innenrats "KI und Frei­heit"), war der Rat nicht nur in der Durch­füh­rung, son­dern auch in der Vor- und Nach­be­rei­tung ein wich­ti­ges Pro­jekt. Dabei flos­sen sowohl im Kern­team als auch durch zahl­rei­che exter­ne Expert:innen, wie zum Bei­spiel aus der KI-For­schung, aus der Pra­xis rund um Betei­li­gungs­for­ma­te oder aus der Hoch­schul­kom­mu­ni­ka­ti­on, zahl­rei­che Per­spek­ti­ven und Kom­pe­ten­zen zusammen.

Für eine klei­ne Inter­view­rei­he haben wir Kolleg:innen hier in Tübin­gen zu ihren Erfah­run­gen rund um das Pro­jekt Bürger:innenrat befragt, die auf je unter­schied­li­che Wei­se und mit unter­schied­li­chem Fokus an der Kon­zep­ti­on und Durch­füh­rung des Bürger:innenrats betei­ligt waren. Anhand von 3 Fra­gen geben die­se uns Ein­bli­cke in je ein zen­tra­les  The­ma, das sie in die­sem Zusam­men­hang beschäf­tigt hat – mit  ihrer Exper­ti­se, aber auch mit Lear­nings, die erst durch und im Ver­lauf des Pro­jekts dazukamen.

Den Anfang macht Patrick Klü­gel (RHET AI Cen­ter Unit 4, Public Enga­ge­ment Mana­ger Uni Tübin­gen), den wir zum The­ma Erwar­tungs­ma­nage­ment befragt haben. In den nächs­ten Wochen fol­gen die Inter­views mit Anika Kai­ser (RHET AI Cen­ter Unit 4) zum The­ma Epis­te­mi­sche Unge­rech­tig­kei­ten und Oli­ver Häuß­ler (Hoch­schul­kom­mu­ni­ka­ti­on Uni Tübin­gen) zum The­ma Kom­mu­ni­ka­ti­on rund um den Bürger:innenrat.


Interview mit Patrick Klügel

Patrick Klü­gel ist Lei­ter der Unit 4 des RHET AI Cen­ters sowie Public Enga­ge­ment Mana­ger der Uni­ver­si­tät Tübingen.

Sei­ne Exper­ti­se umfasst unter ande­rem die Kon­zep­ti­on und Durch­füh­rung von Pro­jek­ten, die die Öffent­lich­keit mit ein­be­zie­hen, eben­so wie beson­de­re Dyna­mi­ken und Her­aus­for­de­run­gen, die sich dar­aus erge­ben. Eine Dyna­mik, die sich ins­be­son­de­re bei Betei­li­gungs­for­ma­ten wie dem Bürger:innenrat erge­ben kann, ist, dass dort ver­schie­de­ne Inter­es­sen zusammenfließen. 

Indi­vi­du­el­le Erwar­tun­gen der Teil­neh­men­den kön­nen sich von dem unter­schei­den, was das For­mat tat­säch­lich leis­ten kann. Außer­dem kön­nen sich auch im Ver­lauf des Rats Ansich­ten ver­än­dern. Zu die­sem The­ma haben wir Patrick Klü­gel gefragt:

Inwie­fern sehen sich Teil­neh­men­de des Bürger:innenrats in der Posi­ti­on, Ein­fluss auf poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen zu neh­men?

Patrick Kügel: Der Bürger:innenrat hat weder Man­dat noch Anspruch, direk­ten Ein­fluss auf poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen zu neh­men. Man könn­te sagen, er wur­de eher als 'inspi­rie­ren­des Gre­mi­um' ein­ge­rich­tet, das den gesell­schaft­li­chen – und natür­lich auch poli­ti­schen Dis­kurs – mit sozi­al robus­ten, wis­sen­schaft­lich infor­mier­ten Emp­feh­lun­gen berei­chern will. Eini­ge der gelos­ten Bürger:innen haben aber im Ver­lau­fe des Rats durch­aus ein poli­ti­sches Selbst­be­wusst­sein ent­wi­ckelt. Eini­ge enga­gie­ren sich als Sprecher:innen des Rats bei Ver­an­stal­tun­gen und ver­tre­ten die Emp­feh­lun­gen öffent­lich. Ande­re haben sich bei­spiels­wei­se geson­dert mit dem Bür­ger­meis­ter ihrer Kom­mu­ne getrof­fen und aus dem Rat berich­tet. Ich wür­de es also so beschrei­ben, dass sich die Teil­neh­men­den mit ihrer Ver­ant­wor­tung durch den Rat neu­er Mög­lich­kei­ten bewusst gewor­den sind.

Wel­che Erfah­run­gen hast du mit dem Erwar­tungs­ma­nage­ment bezüg­lich Wir­kung und Ein­fluss­nah­me auf poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen im Bürger:innenrat KI und Frei­heit gemacht?

Patrick Kügel: Erwar­tungs­ma­nage­ment ist bei sol­chen Pro­jek­ten eine schwie­ri­ge Grat­wan­de­rung: zum einen bezie­hen Foren mit gelos­ten Räten einen Teil ihrer Legi­ti­ma­ti­on und Anzie­hungs­kraft aus dem Ange­bot, Men­schen ohne poli­ti­sches Man­dat eine beson­de­re Mit­ge­stal­tungs­mög­lich­keit zu geben. Zum ande­ren hat­te aber unser Bürger:innenrat kei­nen poli­ti­schen Auf­trag. Es ging ja nicht dar­um, z. B. ein Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren oder eine kon­kre­te poli­ti­sche Ent­schei­dung mit einer Emp­feh­lung zu beglei­ten. Die par­ti­zi­pa­ti­ons­ethi­sche Her­aus­for­de­rung war, deut­lich zu machen, dass wir zwar das offe­ne Ohr der Wis­sen­schafts­mi­nis­te­rin des Lan­des haben, aber kei­ne der erar­bei­te­ten Emp­feh­lun­gen ein­fach so umge­setzt wer­den wird. Auch das ist eine wich­ti­ge demo­kra­ti­sche Erfah­rung: Wir­kung über Dis­kurs­ge­stal­tung zu ent­fal­ten, ist anstren­gend, lang­wie­rig und im Ergeb­nis völ­lig offen.

Was wür­dest du mit Blick auf die Erfah­run­gen aus dem Bürger:innenrat KI und Frei­heit heu­te anders orga­ni­sie­ren?

Patrick Klü­gel: Ich ver­mu­te, jedes Rats­pro­jekt ist in sei­nen Vor­aus­set­zun­gen, Ansprü­chen und im Ver­lauf so ein­zig­ar­tig, dass es schwie­rig ist, ein Sche­ma zu ver­fol­gen. Für uns war sehr wich­tig, dass wir zu unse­rer Hypo­the­se epis­te­mi­scher Unge­rech­tig­kei­ten im Ver­lauf von wis­sens­ba­sier­ten Deli­be­ra­ti­ons­ver­fah­ren inter­es­san­te Beob­ach­tun­gen machen konn­ten. Bei der Orga­ni­sa­ti­on zukünf­ti­ger Bürger:innenräte wür­de ich des­halb ger­ne wei­te­re For­ma­te und kom­mu­ni­ka­ti­ve Metho­den des 'Empowerm­ents' und der Akti­vie­rung und Reflek­ti­on von 'Wis­sen' ent­wi­ckeln und erpro­ben.

Die stu­den­ti­sche Redak­ti­on bedankt sich bei Patrick Klü­gel für den span­nen­den Ein­blick und freut sich, bereits das nächs­te Inter­view in die­ser Rei­he anzu­kün­di­gen: Anika Kai­ser (RHET AI Cen­ter Unit 4) haben wir zum The­ma Epis­te­mi­sche Unge­rech­tig­kei­ten befragt. 

Zum Bürger:innenrat "KI und Freiheit"

Im Rah­men des Bürger:innenrats "KI und Frei­heit" haben sich ab Sep­tem­ber 2024 40 zufäl­lig aus­ge­los­te Men­schen aus Baden-Würt­tem­berg in vier Rats­sit­zun­gen getrof­fen und unter­ein­an­der sowie mit ver­schie­de­nen KI-Expert:innen aus­ge­tauscht. The­men waren u.a.: Wie kann gesell­schaft­li­che Beglei­tung von KI-For­schung und deren För­de­rung aus­se­hen? Wie beein­flusst KI unse­re indi­vi­du­el­le und gesell­schaft­li­che Frei­heit? 
Auf Basis ihrer viel­fäl­ti­gen Per­spek­ti­ven und Mei­nun­gen erar­bei­te­ten die Bürger:innen kon­kre­te Emp­feh­lun­gen für die öffent­lich geför­der­te Wis­sen­schaft sowie für die Wis­sen­schafts­po­li­tik. Sie kön­nen als Denk­an­stö­ße für einen ver­tie­fen­den Dis­kurs ver­stan­den wer­den. 
Die Emp­feh­lun­gen wur­den im März 2025 in Form eines Poli­cy Papers an das Minis­te­ri­um für Wis­sen­schaft, For­schung und Kunst Baden-Würt­tem­berg (MWK) sowie das Exzel­lenz­clus­ter "Maschi­nel­les Ler­nen für die Wis­sen­schaft" an der Uni­ver­si­tät Tübin­gen und das Cyber Val­ley Public Advi­so­ry Board über­ge­ben.