Wie hängen Künstliche Intelligenz und globale Gerechtigkeit zusammen? Und inwiefern kann KI bestehende Ungleichheiten verstärken – oder sogar neue Ungerechtigkeiten hervorbringen? Diesen Fragen geht Anne Burkhardt, Postdoc am RHET AI Center und Mitglied unserer Unit 2 "Visual Communication", in ihrer aktuellen Forschung nach. Ein Fokus ihrer Arbeit liegt dabei auf der Verbindung ethischer, medialer und dekolonialer Perspektiven: etwa zur Darstellung von KI in Filmen aus dem globalen Süden oder zur öffentlichen Kommunikation von KI in lateinamerikanischen Kontexten. Mehr zu ihrer Arbeit findet sich in unserer "Ein Blick in"- Videoreihe, in der die RHET AI Mitglieder ihre Forschung vorstellen.
Einer von Anne Burkhardts Vorträgen, "Ethische Perspektiven auf Künstliche Intelligenz: KI und globale (Un)Gerechtigkeit", wurde auf Initiative des KI Makerspace am 13. Dezember 2024 vom Zentrum für Medienkompetenz (ZFM) der Universität Tübingen aufgezeichnet und ist nun auf unserer Website verfügbar.
Anne Burkhardt beleuchtet in ihrem Vortrag drei zentrale Themenfelder:
1. Ansätze zum Verhältnis von KI und globaler Gerechtigkeit
Zunächst stellt Anne Burkhardt verschiedene Forschungsperspektiven auf KI vor, die sie auch in ihrer wissenschaftlichen Arbeit verfolgt:
- Global South Studies: Der globale Süden ist in öffentlichen und wissenschaftlichen KI-Debatten oft unterrepräsentiert – "Süden" wird dabei nicht nur geografisch gedacht, sondern als Ausdruck struktureller Ungleichheit. Burkhardt verweist dazu auf die Formel: "Es gibt den Süden im Norden und den Norden im Süden."
- Werteethik: Gerechtigkeit gilt als zentraler Wert – im Umgang mit KI steht die Gerechtigkeit jedoch häufig in Spannung zu anderen Werten wie Freiheit oder Privatheit. Wie können gerechte Bedingungen in der Praxis geschaffen werden?
- Decolonial Theory (nach Aníbal Quijano): Hier geht es um die Frage, inwiefern Vorstellungen und Praktiken (z.B. die Entwicklung, Produktion oder Nutzung) von KI von kolonialen Machtverhältnissen geprägt sind, die den historischen Kolonialismus überlebt haben.
- Epistemische (Un)Gerechtigkeit (nach Miranda Fricker): Wer gilt als glaubwürdige Quelle von Wissen? Diese Frage steht im Zentrum der Forschung zu epistemischer Ungerechtigkeit. Im Kontext von KI verweist Burkhardt auf die strukturelle Dominanz weißer, männlicher Stimmen in der Entwicklung, Forschung und den Narrativen über KI.
2. Globale Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz
Außerdem geht Anne Burkhardt auf die globalen Herausforderungen Künstlicher Intelligenz ein, die sie in drei Kategorien systematisiert und von denen im Folgenden jeweils ein exemplarisches Themenfeld genannt wird:
- Macht: KI basiert auf globalen Ressourcennetzwerken – etwa dem Abbau seltener Rohstoffe im globalen Süden, der mit Umweltzerstörung und Ausbeutung einhergeht.
- Umwelt: "Thirsty AI" – KI-Systeme benötigen enorme Wassermengen für Kühlung und Betrieb.
- Arbeit: Hinter der scheinbaren Autonomie von KI steckt unsichtbare, oft prekäre menschliche Arbeit – etwa in der Datenannotation oder Qualitätskontrolle.
3. Was kann die Ethik leisten?
Ethik, so betont Burkhardt zum Abschluss ihres Vortrags, kann auf vielfältige Weise zur Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz beitragen – sowohl in der Forschung als auch im öffentlichen Diskurs. In diesem Zusammenhang verweist Burkhardt auf die Grenzen der Ethik: Ethik kann mit KI befassten Akteuren zwar Orientierung für moralisch 'gutes' oder 'richtiges' Handeln geben und für potenzielle Probleme und Gefahren sensibilisieren, politische oder rechtliche Entscheidungen werden aber an anderer Stelle getroffen. Auch einfache Antworten auf die komplexen Fragen rund um KI dürfe man von der Ethik nicht erwarten.
Der Vortrag macht deutlich: Wer über KI nachdenkt, kommt um Fragen nach globaler Ungleichheit, Macht und Verantwortung nicht herum. Wie eng diese Themen mit den Entwicklungen der KI verflochten sind, zeigt Anne Burkhardt in ihrem Vortrag. Wir sind gespannt auf ihre weiteren Forschungsvorhaben und ‑aktivitäten!