In der "Deus Ex Machina? – KI-Tools im Test"-Reihe stellen wir euch verschiedene Tools vor, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz Schreib‑, Design- und Rechercheprozesse vereinfachen sollen. Mehr zur "Deus Ex Machina?"-Reihe gibt es hier.
Im Überblick
"Reimagine Research" (Denke Recherche neu) heißt es auf der Startseite von ResearchRabbit. Wie der Name vermuten lässt, handelt es sich um ein Tool für die wissenschaftliche Recherche, das die Suche nach geeigneten Quellen und wissenschaftlichem Input intuitiver und das Entdecken von relevanten Papern vereinfachen soll. So bezeichnen die Entwickler:innen ResearchRabbit auch als "Spotify for Papers", das mit regelmäßiger Nutzung die Suchkriterien seiner Nutzer:innen kennenlernen und dadurch seine Textvorschläge optimieren soll.
Um ResearchRabbit zu nutzen, starten die User:innen mit einem "seed paper", also einem wissenschaftlichen Text, der als Recherchestart angegeben wird. Von diesem ausgehend schlägt das Programm weitere, dazu passende wissenschaftliche Texte vor. Diese Texte können entweder über vergleichbare Themenbereiche, Autor:innen oder Zitationen miteinander verbunden sein, sodass die von ResearchRabbit vorgeschlagenen Texte eine bereits bestehende Text-"collection" (Sammlung von Papern zu einem Thema) ergänzen.
Texte, die in einer Collection gesammelt wurden, können in einem zweiten Schritt näher betrachtet werden: hierfür zeigt ResearchRabbit neben den Verfasser:innen, dem Veröffentlichungsdatum und ‑medium ein Abstract sowie wie oft das angezeigte Paper in anderen wissenschaftlichen Arbeiten zitiert wurde. Hier zeigt sich auch eine Stärke des Tools: mit wenigen Klicks lässt sich in Erfahrung bringen, wer hier zitiert hat, wo und in welchem Zusammenhang die Autor:innen stehen. Durch die Nebeneinander-Auflistung der Recherchewege (die sich theoretisch ins Unendliche weiterführen lässt) kann man den Suchverlauf auch im Nachhinein leicht nachvollziehen und bei Bedarf inmitten des Weges erneut anpassen.
Aber nicht nur die Zitationen können über ResearchRabbit nachverfolgt werden, auch auf welche Texte sich die Autor:innen des "seed papers" berufen kann über das Tool nachvollzogen werden über den Button "All References". Unter "These Authors" können Nutzer:innen sich die Autor:innen der Texte näher ansehen und beispielsweise nach häufigen Kollaborationsbeziehungen unter Autor:innen nachforschen oder sich anzeigen lassen, welche Werke vor oder nach dem ausgewählten Text erschienen sind.
Diese Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Autor:innen stellt ResearchRabbit in einem Netzwerk-Cluster ("author networks") dar mit Verbindungslinien zwischen durch ihre Forschungsarbeit verbundenen Autor:innen. Dabei ist sogar visualisiert, wie häufig Autor:innen kollaboriert haben: je dicker die graue Verbindungslinie zwischen ihnen, desto mehr gemeinsame Paper hat ResearchRabbit gefunden. So kann auch nachvollzogen werden, welche Autor:innen in ihrem Feld besonders einflussreich sind oder waren.
Allerdings zeigt ResearchRabbit jeweils nur die Texte an, die es selbst mit seinen Suchalgorithmen findet. Auf eine Vollständigkeit dieser Listen sollte man sich also nicht blind verlassen. Ebenso wird nicht jeder Text vollständig ausgelesen, einige Verbindungen zwischen Texten ergeben sich daher erst beim eigenen Durchlesen.
Die KI hinter der Anwendung
Die Algorithmen, auf denen die ResearchRabbit-KI basiert, sind bis dato nicht veröffentlicht, ebenso wenig wie die Daten, auf deren Grundlage diese trainiert wurden. Auch auf Rückfrage gab es vom ResearchRabbit Team hierauf keine Antwort. In den FAQs wird darauf verwiesen, dass die Suchmaschine von ResearchRabbit auf die Suchalgorithmen des NIH (National Institute of Health, USA) sowie die in der NIH angesiedelten Dienste PubMed.gov und die National Library of Medicine zurückgreift, ebenso wie die von Semantic Scholar und auf diese Weise Vorschläge für Paper generiert.
ResearchRabbits eigener Algorithmus ist darauf trainiert, Vorschläge zu den von den Nutzenden ausgewählten Texten zu machen, aus diesen die relevanten Metadaten auszulesen und weitere Textvorschläge. Diese sind in drei Kategorien unterteilt: Similar Work, Earlier Work und Later Work. Earlier und Later Work beziehen sich auf die Zitationsbeziehungen zwischen einzelnen Texten, laut ResearchRabbit werden hier auch die temporalen Daten (Veröffentlichungsdatum) ausgelesen, um eine Übersicht zu generieren. "Similar Work" (ähnliche Arbeiten) wiederum sollen davon losgelöst und laut den FAQs auch nicht deckungsgleich mit Earlier und Later Work sein, sondern sich verstärkt auf andere Beziehungen zwischen den Texten, zum Beispiel die Zitationsnetzwerke, beziehen. Dabei lädt ResearchRabbit nach eigenen Angaben zunächst nur die 50 relevantesten Texte, um die Recherche möglichst fokussiert zu halten.
Seinen Namen hat ResearchRabbit übrigens von der Idee, mithilfe des Rechercheflows, der durch das Design des Tools begünstigt werden soll, immer tiefer in das nächste Recherche-"rabbit hole" (eine Anlehnung an Alices Reise in den Kaninchenbau in Lewis Carols "Alice im Wunderland") einzutauchen.
Das rhetorische Potenzial des Tools
ResearchRabbit ist in der Recherchephase eine Unterstützung bei der Findung von geeigneten Texten und interessanten Referenzen für das eigene wissenschaftliche Arbeiten. Insbesondere die "works cited"-Funktion und das Autor:innen-Netzwerk können einen Hinweis darauf geben, welche Texte im recherchierten Feld relevant sind und einen entsprechenden Nachhall erzeugt haben. Dennoch muss die Qualität der Texte und ihre Relevanz für das eigene Thema noch einmal manuell überprüft werden, da das Programm keine Einschätzungen zur Qualität der Texte gibt und man als Nutzer:in zu den Texten zwar selbst Kommentare beifügen, nicht aber die Kommentare anderer Nutzenden einsehen kann.
Auch bei diesem Tool gilt also die Faustregel, dass man möglichst mit Vorwissen und einer bereits erstellten manuellen Recherche in die Nutzung des Tools einsteigen sollte. Das hat einerseits den Hintergrund, dass Texte, die für die eigene Arbeit relevant sind, deutlich leichter erkannt und von nicht verwendbaren Papern getrennt werden können und über die Autor:innennetzwerke für die eigene Arbeit relevante Forschende schneller gefunden werden können. Andernfalls kann es geschehen, dass man als Nutzer:in von der Flut an Optionen schnell überfordert ist.
Einsatz in der Wissenschaftskommunikation
ResearchRabbit ist auf Forschende, Wissenschaftler:innen, Studierende höherer Semester und weitere Personen mit wissenschaftlichem Hintergrund ausgerichtet. Wichtig für die erfolgreiche Anwendung sind Vorkenntnisse im recherchierten Feld und eine Reflektion vorab, welche Ergebnisse ResearchRabbit liefern soll, um die Suchzeit für passende Literatur möglichst kurz zu halten.
Zu den einzelnen wissenschaftlichen Texten bietet ResearchRabbit ein Abstract inklusive Zitation und eine Verlinkung auf den jeweiligen Text: entweder als PDF oder durch Weiterleitungen auf JSTOR, Springer Link und weitere Portale. Wer keinen Zugang zu diesen Portalen über die eigene Universität oder Forschungseinrichtung hat, für den wird ResearchRabbit nur bedingt nützlich sein, da das Programm zwar viele Texte finden, sie aber selbst nur in seltenen Fällen, in denen in ResearchRabbit selbst eine PDF hinterlegt ist oder der gesuchte Text open access veröffentlicht wurde, direkt ausgeben kann.
Vorkenntnisse helfen den Nutzer:innen auch, den "Rabbit" mit sinnvollen Anfangstexten, welche die Ausrichtung der von ihm vorgeschlagenen Texte für die "Collaboration" (Textsammlung) bestimmen, zu füttern. Um ResearchRabbit zu nutzen, ist zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Texts nur ein Konto auf der Seite nötig, der Dienst ist kostenlos für Forschende und soll das, laut FAQ, auch in Zukunft bleiben.
Schließlich bietet ResearchRabbit die Option, sich mit anderen Personen auf der Plattform zu vernetzen und gemeinsame Text Collections zu erstellen. Auf diese Weise kann zum Beispiel zusammen Recherche betrieben werden für ein gemeinsames Projekt. Eigene Collections können mit anderen Personen und Gruppen für 14 Tage auch dann geteilt werden, wenn diese keinen eigenen ResearchRabbit-Account besitzen. In diesem Fall können sie sich die Collections allerdings nur ansehen, nicht auch selbst bearbeiten.
Und final können Nutzer:innen über die Funktion "Linked Content" einen Einblick darüber erhalten, wo die Texte aus der eigenen Collection auch im Nicht-akademischen Kontext verwendet werden – also bspw. bei Wikipedia, auf persönlichen Blogs oder offiziellen Websites von Praxiszentren. Allerdings sind die Angaben in ResearchRabbit selbst bisher nur wenig ausgereift, neben dem verwendeten Text wird sonst oft nur die Art der Website, auf der veröffentlicht wurde (WordPress zum Beispiel) angezeigt, nicht aber, zu welcher Institution die jeweilige Website gehört.
Wrap-Up
Der Name ResearchRabbit und die metaphorische Reise in den wissenschaftlichen Kaninchenbau ist bei diesem Tool Programm. Durch die intuitive Handhabung des "immer weiter eintauchens", die dadurch begünstigt wird, dass für Forschende interessante Informationen wie vorherige Werke, in einem Paper zitierte Autor:innen oder mit wenigen Klicks direkt offen stehen.
Allerdings ist auch ResearchRabbit nicht frei von Fehlern – bis die "seed paper" den Algorithmus auf die eigenen Interessen programmiert haben, muss sehr viel Input gegeben werden. Und nicht jeder gesuchte Text ist für ResearchRabbit auffindbar oder wird, auch bei sehr präziser Keyword-Suche inklusive Titel(-auszug), Name des:der Verfasser:in und Veröffentlichungsdatum, vom Tool als erstes oder überhaupt als Suchergebnis ausgegeben. Behält man diese Punkte im Hinterkopf und nutzt zusätzlich noch die herkömmlichen Bibliothekskataloge und andere Suchmasken, kann ResearchRabbit eine wertvolle Hilfe in der Recherchearbeit und Darstellung von Text- und Autor:innenzusammenhängen sein.