In der "Deus Ex Machina? – KI-Tools im Test"-Reihe stellen wir euch verschiedene Tools vor, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz Schreib‑, Design- und Rechercheprozesse vereinfachen sollen. Mehr zur "Deus Ex Machina?"-Reihe gibt es hier.
Im Überblick
"KI gestützte Intelligenz für Journalist:innen", soll das KI-Tool JECT.AI bieten. Ihnen verspricht JECT.AI dabei zu helfen, den eigenen Horizont zu erweitern, neue Perspektiven einzunehmen und damit diversere und qualitativ hochwertigere Inhalte zu kreieren – insbesondere im Bereich des Wissenschaftsjournalismus.
Dafür stellt JECT.AI den Nutzer:innen verschiedene Anwendungsmöglichkeiten bereit. Das Herzstück ist eine KI-basierte Suchmaschine, die zu den gesuchten Wissenschaftsthemen Artikel, Journalist:innen und Wissenschaftler:innen vorschlägt und so einen breiten und detaillierten Überblick über die aktuelle Forschung und Berichterstattung zu diesem Thema gibt. Fünf Filter erlauben es, die Ergebnisse auf die eigenen Bedürfnisse zuzuschneiden. Neben allgemeinen Inhalten kann gezielt nach Daten und Fakten, zentralen Figuren, Hintergründen und Entwicklungen gesucht werden. Gibt man beispielsweise den Begriff "Planetare Grenzen" ein, stellt die Suchmaschine folgende Ergebnisse zusammen, gestaffelt nach verwandten Artikeln und Themenbereichen, Wissenschaftler:innen und Journalist:innen sowie mögliche Themenkombinationen. Diese Ergebnisse können noch weiter zugeschnitten werden, wenn etwa ein besonderer Fokus auf Daten und Fakten liegen soll.
Neben der Suchmaschine bietet JECT.AI seinen Nutzer:innen noch fünf weitere Instrumente, welche dabei helfen sollen, Wissenschaft besser zu kommunizieren. Unter "Science Audiences" etwa bündelt das Tool beispielhafte Adressat:innen von Wissenschaftskommunikation, welche Journalist:innen als Prototypen für ihrer Leser:innen zum Vorbild nehmen können. Darüber hinaus finden sich noch gängige Metaphern der drei fokussierten Wissenschaftsbereiche, Storytelling-Rollen, Erklärungen zum Ablauf des Wissenschaftsbetriebs und Indikatoren für guten Wissenschaftsjournalismus unter diesen Instrumenten. Sie sind allesamt statische Inhalte und wurden seit der Veröffentlichung von JECT.AI nicht weiter verändert.
Um JECT.AI nutzen zu können genügt eine einmalige Anmeldung mittels Emailadresse und Passwort. Die Basis-Version ist kostenfrei, jedoch bietet das Unternehmen auf Anfrage noch weitere Dienstleistungen und Erweiterungen an, welche kostenpflichtig sind.
Die KI hinter der Anwendung
JECT.AI ist als Tool aus dem EU finanzierten Projekt QUEST (QUality and Effectiveness in Science and Technology communication) entstanden und wird heute von den Entwicklern Prof. Neil Maiden und Dr. Konstantinos Zachos als Startup weiterbetrieben. Ziel von QUEST – welches im Sommer 2021 ausgelaufen ist – war es, Quantität und Qualität von Wissenschaftsjournalismus zu verbessern, insbesondere in den drei Fokusthemen Klimawandel, Impfungen und Künstliche Intelligenz.
JECT.AI wurde laut Angabe der Entwickler:innen mit Journalist:innen gemeinsam erarbeitet und immer wieder angepasst. Die KI liest jeden Tag mehr als 1000 neu veröffentlichte Artikel aus über 400 Quellen (Papers, Fachzeitschriften, Zeitungen etc.) in sechs europäischen Sprachen (Stand 2021) aus und untersucht sie auf ihren wissenschaftlichen Gehalt hin. Diversität nimmt einen hohen Stellenwert im Algorithmus der KI ein. Sie ist darauf trainiert, ein möglichst breites Spektrum an Ergebnissen zu präsentieren. Werden beispielsweise 20 Wissenschaftler:innen ausgegeben, die zu einem gesuchten Gebiet forschen, so stellt JECT.AI sicher, dass mindestens 10 davon FLINTA* (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans- und agender-Personen) sind. Also Gruppen angehören, die in der Mehrheitsgesellschaft und der Wissenschaft unterrepräsentiert sind.
Das Unternehmen gibt allerdings keine Auskunft dazu, auf welchen Datensatz die Suchmaschine zugreift oder ob sie seit Veröffentlichung 2021 nochmals optimiert wurde. Auch auf welcher KI der Suchalgorithmus basiert und anhand welcher Daten dieser trainiert wurde, wird auf der Website von JECT.AI nicht bekannt gegeben.
Das rhetorische Potenzial des Tools
JECT.AI richtet sich an Journalist:innen, die über Wissenschaft schreiben sollen, jedoch keine tiefere wissenschaftliche Expertise besitzen. Das Tool soll ihnen dabei helfen, trotzdem qualitativ hochwertige Inhalte zu kreieren und so Wissenschaftskommunikation zugänglicher zu machen. Es hilft dabei, Informationen, Wissen und Kontakte zu finden, die den Schaffensprozess informierender Beiträge zu wissenschaftlichen Themen erleichtern.
Rhetorisch gesehen sind neben der Suchmaschine, die für die Auffindung von Themen und Informationen relevant ist, die vorbereiteten Features interessant. Die unter "Science Audiences" zusammengefassten Personas etwa, welche Adressat:innen von Wissenschaftskommunikation, ihre Einstellungen und Bedürfnisse repräsentieren, sollen Journalist:innen dabei helfen, gezielter für diese Adressat:innenkreise zu schreiben. Diese Personas geben beispielsweise an, welche wissenschaftlichen Vorkenntnisse, bevorzugte Medien oder Formen der Interaktion auf bestimmte Zielgruppen zutreffen. Journalist:innen können diese Personas zum Vorbild nehmen und auf sie angepasst schreiben, sodass ihre kommunikativen Maßnahmen möglichst wirkungsvoll für die angestrebte Zielgruppe sind.
Auch die aufbereiteten Metaphern und Storytelling Vorschläge helfen dabei, gezielt sprachliche Bilder und Narrative zu bauen, die tragfähig sind und die wissenschaftlichen Inhalte überzeugend transportieren.
Über die Suchmaschine lassen sich gängige Topoi und Narrative zu einzelnen Themen herausfiltern. Damit können eigene journalistische Beiträge durch neue Blickwinkel und diversere Sichtweisen interessanter und eindrücklicher gestaltet werden. Die Möglichkeit, mit anderen Journalist:innen und Wissenschaftler:innen in Kontakt zu treten bietet Nutzer:innen von JECT.AI die Chance, durch den Austausch inhaltlich hochwertigere Informationen zu sammeln und anschließend zu kommunizieren. So steigert sich die inhaltliche Qualität und logische Überzeugungskraft der Beiträge. Denn gerade in Themengebieten, die Adressat:innenkreisen schlechter zugänglich sind und großes Fachwissen erfordern (wie es in der Wissenschaft meist der Fall ist), schafft die Autorität einer fachkundigen Person – etwa eines:r Wissenschaftler:in – Vertrauen.
Jedoch bleiben die rhetorischen Potenziale von JECT.AI außerhalb der Suchmaschinenfunktion beschränkt. Die vorbereiteten Features bieten Personas, Metaphern und Narrative an, die zwar auf basaler Ebene die drei Wissenschaftsgebiete Impfung, Klimawandel und Künstliche Intelligenz abdecken, dabei aber nicht tiefer gehen. Es fehlt an Begriffen, die weniger gängig sind und es fehlt an Aktualität. Seit Veröffentlichung des Tools wurden diese Features nicht erweitert, wodurch Änderungen im Diskurs, wie etwa neue Begriffe oder Narrative, nicht mehr abgebildet werden. Sich individuell auf ein bestimmtes Publikum zu einem bestimmten Zeitpunkt einzustellen und daran angepasst zu kommunizieren ist Kernelement jeder erfolgreichen Kommunikation. Durch die mangelnde Agilität und Aktualität des Tools kann genau das nicht sichergestellt werden. Auch der Algorithmus passt sich den Nutzer:innen nicht an und liefert mitunter unpassende Ergebnisse. Bei einer Suche zum Stichwort "Friendly AI" etwa gingen die ausgegebenen 12 relevantesten Ergebnisse für dieses Stichwort von Neuentwicklungen in der Forschung zur Künstlichen Intelligenz bis hin zu einem Artikel über Football.
Einsatz in der Wissenschaftskommunikation
Grundsätzlich eignet sich JECT.AI gut für den Einsatz in der Wissenschaftskommunikation. Es kann Rechercheprozesse erleichtern, Kontakte herstellen und dabei sichergehen, dass die Wissenschaftskommunikation ein wenig diverser und vor allem weniger voraussetzungsreich wird. Denn theoretisch brauchen Nutzer:innen nicht einmal ein wissenschaftliches Grundverständnis für die Fokusthemen des Tools (KI, Impfungen, Klimawandel), sondern können mit Hilfe von JECT.AI inhaltliche Grundlagen erlernen, ebenso wie eine Hilfestellung zu gängigen Formulierungen innerhalb eines thematischen Diskurses bekommen. So findet man im Wissenschaftsbereich "Klima" beispielsweise die Metapher von (Regen)Wäldern als "Lungen der Erde". JECT.AI erklärt hierbei den Kontext der Metapher und wie sie möglichst treffend in einem Artikel oder Posting verwendet werden kann. Gleichzeitig werden auch verwandte Schlagworte angegeben, anhand derer weitere Informationen gesammelt und angezeigt werden können.
Auch das Netzwerkpotenzial für Journalist:innen und Wissenschaftler:innen, welches die Anwendung birgt, ist enorm.
Die mangelnde Flexibilität und Breite der abgebildeten Forschungsbereiche (bisher werden nur die drei oben genannten Fokusthemen bespielt) schränkt das tatsächliche Potenzial des Tools ein. Für Nachwuchsjournalist:innen und Neulinge in der Wissenschaftskommunikation kann JECT.AI aber ein gutes Sprungbrett sein, wenn es sich ausschließlich um schriftliche Wissenschaftskommunikation handelt, denn mehr als textuell-inhaltliche Unterstützung bietet JECT.AI nicht. Gestalterische Elemente und deren kommunikatives Potenzial klammert das Tool vollständig aus. Selbes gilt für unterschiedliche Medien und Kanäle von schriftlicher Wissenschaftskommunikation. Es gibt keine Möglichkeit die Ergebnisse und Features dahingehend zuzuschneiden, ob beispielsweise für Zeitungen, Social Media oder Blogs geschrieben wird.
Wrap-up
Die Idee hinter JECT.AI, die Produktion von Wissenschaftsjournalismus zu vereinfachen, Vernetzungsmöglichkeiten anzubieten und die Diversität in der Forschung abzubilden, sind nützliche Ausgangspunkte für die Arbeit in der Wissenschaftskommunikation. Das Tool bietet dafür Ressourcen und Ideen, die Journalist:innen helfen können inhaltlich differenzierte Texte zu verfassen, auch wenn sie selbst keinen wissenschaftlichen Hintergrund mitbringen oder aber fremd in einem neuen Themengebiet sind. Dem Tool selbst fehlt es an Feinschliff, Flexibilität, individueller Anpassbarkeit und stetiger Weiterentwicklung der Angebote und des Algorithmus. Trotzdem ist es eine gute Hilfestellung bei Recherche und Produktion von Wissenschaftsjournalismus, überlässt die Hauptarbeit dabei aber noch den Schreibenden. Geeignet ist es für alle, die Wissenschaft kommunizieren oder sich dafür interessieren, unabhängig von Alter und Kenntnisstand.